Wild Church –Gott in und mit der Schöpfung loben

Ein Gespräch mit Wendy Janzen von der Burning Bush Forest Church

Seit einigen Jahren haben verschiedene Gruppen von Christ:innen in Nordamerika begonnen, ganzjährig im Freien Gottesdienste zu feiern. Wendy Janzen ist Pastorin einer Mennonitengemeinde in Kitchener Waterloo und Pastorin der Burning Bush Forest Church (deutsch: Waldkirche vom Brennenden Dornbusch). Rianna Isaak-Krauß stellte ihr einige Fragen zu dieser gewagten Form, Gemeinde angesichts des Klimawandels neu zu denken.

Rianna: Was ist Wild Church?
Wendy: Wild Church (etwa: Kirche in der Wildnis) ist eine Selbstbezeichnung verschiedener Gruppen, die im Freien Gottesdienst feiern – und zwar nicht einfach nur, um in der Natur Gottesdienst zu feiern, sondern mit der Natur. Wir glauben, dass wir unserem Schöpfer überall begegnen können und dass Gott die Welt so geschaffen hat, dass die Schöpfung selbst den Schöpfer offenbart. Wir sind sehr beeinflusst vom keltischen Christentum, wo es schon lange die Idee eines „Buchs der Schöpfung“ gibt. So wie wir die Bibel lesen und aus ihr lernen können, wer Gott ist, ohne dass die Bibel selbst Gott wäre, können wir auch die Schöpfung lesen und etwas von Gottes Charakter erkennen. Wir verstehen uns als Teil der Schöpfungsgemeinschaft Gottes, deren Ziel es ist, Gott zu loben. Daher feiern wir Gottesdienst mit der Schöpfung. Wir merken immer wieder, wie Pflanzen und Tiere uns helfen, Gott aus tiefstem Herzen zu loben.
Mittlerweile gibt es mehrere Gruppen, die eine ähnliche Praxis haben. In Nordamerika vernetzen wir uns als Teil des Wild-Church-Networks. In Großbritannien gibt es die Forest-Church Bewegung.

Rianna: Wie hat alles angefangen?
Wendy: Meine Nachbarin gab mir die Idee zur Burning Bush Forest Church. Im Herbst 2014 sprachen wir darüber, dass sie keinen Bock mehr auf Kirche hätte. Genauer gesagt: Sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als sich an einem Sonntagmorgen in ein dunkles Gebäude zu setzen und anderen Menschen zuzuhören. Viel lieber würde sie mit ihrer Familie wandern gehen. Im Laufe der nächsten Wochen kamen wir immer wieder auf das Thema zu sprechen und sie sagte Sachen wie: „Es wäre schön, so was mit anderen zu machen“ oder „Wäre es nicht großartig, wenn es nicht einfach nur eine Wanderung wäre. Vielleicht könnte es eine Andacht geben oder eine Liturgie oder so was.“ Ich hörte ihr gebannt zu. Ich spürte, hier geschieht etwas, auf das ich achten sollte.
Ein paar Wochen später holte ich meinen Sohn von seinem Waldkindergarten ab. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Wenn es einen Waldkindergarten geben kann, wo Kinder im Wald und vom Wald lernen, warum gibt es dann eigentlich keine Waldgemeinde? War das vielleicht, wovon meine Nachbarin und ich in den letzten Wochen geträumt hatten?
Den Rest des Tages dachte ich ständig über die Idee einer Waldkirche nach, und am nächsten Tag suchte ich im Internet danach. Sofort fand ich die Webseite „Mystic Christ“ in der sich die etwa 16 Forest-Church-Gruppen in Großbritannien vorstellten. Ich war begeistert und las das Buch „Forest Church“ von Bruce Stanley, einem der Vorreiter dieser Bewegung.
Ich wagte ein Experiment und plante im Dezember 2014 einen Waldgottesdienst. Fünfzehn Leute kamen. Es war für uns alle ein sehr berührender Gottesdienst. Mir wurde bewusst, dass wir auf etwas sehr Wichtiges gestoßen waren. Trotzdem brauchten wir noch über ein Jahr, bis wir im März 2016 anfingen, jeden Monat einmal draußen Gottesdienst zu feiern. Diesen März feiern wir unser fünfjähriges Jubiläum!

Rianna: Wie beeinflussen eure Freiluftgottesdienste euer Verständnis der Nachfolge Jesu?
Wendy: Draußen wirken die Gleichnisse Jesu ganz anders auf mich. Ich kann tatsächlich die Vögel beobachten, und sehen, wie Gott sie versorgt. Ich kann mir viel besser vorstellen, wie es wohl war, als Jesus den Sturm stillte. Unsere Mitgeschöpfe sind dabei nicht nur Anschauungsobjekte, sondern legen uns den Text aus. Sie zeigen uns, wie kostbar alles in der Schöpfung miteinander verwoben ist, einschließlich uns selbst, und dass, wenn ein Glied leidet, alle leiden (1. Korinther 12,26). Durch die Gottesdienste in der Wildnis habe ich begonnen, neu über die Fleischwerdung Gottes nachzudenken: Die ersten Christ:innen glaubten, dass Jesus nach der Auferstehung nicht „dort oben“ war, sondern weiterhin lebendig und gegenwärtig, in allem Fleisch. Sie sprachen von einem kosmischen Christus, durch den alles geschaffen wurde und in dem alles zusammenhängt (Johannes 1, Epheser 1, Kolosser 1,17).

Rianna: Wie sieht ein typischer Gottesdienst aus?
Wendy: Wir treffen uns einmal im Monat an einem Sonntagnachmittag oder Abend, meistens in einem öffentlichen Stadtpark in Kitchener. Es kommen sehr verschiedene Leute. Manche gehen regelmäßig zu einer Gemeinde, andere wollen mit Kirche sonst nichts am Hut haben. Mit der Zeit hat sich eine eher informelle, aber doch feste Liturgie herausgebildet: Zu Beginn nehmen wir uns Zeit, anzukommen. Wir richten uns mit allen unseren Sinnen auf den Ort, an dem wir sind, aus und auf Gott, der schon vor uns anwesend war, ist und sein wird. Darauf folgen Gebet und eine Schriftlesung mit ein paar kurzen Gedanken. Dann laden wir alle ein, etwa eine halbe Stunde lang umherzuwandern und hinzuhören. Vielleicht hören sie auf die Worte des Bibeltexts oder das Rauschen des Baches oder den Lobgesang eines Vogels. Dann kommen wir wieder zusammen und teilen unsere Eindrücke miteinander. Manchmal feiern wir auch Abendmahl, entzünden Kerzen als Ausdruck unserer Fürbitten oder beten gemeinsam einen Klagepsalm. Am Ende senden wir einander mit einem Segen.

Rianna: Welche Hürden musstet ihr überwinden?
Wendy: Am Anfang machten wir uns große Sorgen, wie diese Idee im kanadischen Winter funktionieren sollte. Aber wir stellten schnell fest, dass Leute, die sich für diese Form interessieren, sowieso schon die richtige Kleidung hatten, eine gute Stunde draußen zu verbringen. Seitdem treffen wir uns bei jedem Wetter, es sei denn ein Gewitter oder Glatteis stellen ein Sicherheitsrisiko dar.
Die nächste Hürde: Wie erreichen wir die Menschen, die Lust auf Kirche in der Wildnis haben könnten? Wir treffen uns an wechselnden Orten. Wie sorgen wir dafür, dass die Leute Bescheid wissen und uns finden können? Tatsächlich finden uns die meisten über ihre Bekannten. Aber gelegentlich kontaktieren uns auch Leute über unsere Webseite oder unsere Facebook-Seite.
Zu Beginn hatten wir kein Budget. Die Gemeinde, in der ich weiterhin als Pastorin arbeite, fand die Idee spannend, brauchte aber zwei Jahre, sie auch finanziell zu unterstützen. Ähnlich war es auch mit der Konferenz. Manche Teilnehmer spenden auch, sodass wir ein kleines Budget haben, um unsere sehr niedrigen Kosten zu decken, und mir eine kleine Aufwandsentschädigung zu zahlen.
Corona ist auch für uns eine Herausforderung. Eine Weile lang trafen wir uns einfach weiter im Freien mit Abstand. Aber mittlerweile sind auch Ansammlungen im Freien nicht mehr möglich. Manche Gruppen treffen sich über Zoom. Wir haben beschlossen, offline zu bleiben und erstellen Lesegottesdienste, um Leuten zu helfen, eigenständig in der Natur Gott anzubeten.

Rianna: Wie hast du den Heiligen Geist in dir selbst oder in eurer Gemeinschaft erlebt?
Wendy: Einmal kam niemand zu unserem Gottesdienst. Es war ein wunderschöner Sonntagnachmittag im September und keiner kam. Selbst meine Familie war nicht da. Ich hätte einfach nach Hause radeln können, aber irgendwie fühlte ich, dass ich einfach den Gottesdienst allein feiern sollte. Sehr schnell merkte ich, ich bin gar nicht allein. Es waren zwar keine anderen Menschen da, aber mir wurde ganz neu bewusst, dass ich gemeinsam mit der ganzen Umwelt Gott lobte. Der Park war nicht leer bis auf mich, er war voller Geschöpfe, die Gott geschaffen hatte und liebte.
Ein anderes Mal trafen wir uns im November am Ufer eines Flusses bei strömendem Regen. Trotzdem kamen 19 Leute. Wir lasen Klagepsalmen, beteten und wanderten umher. Die ganze Zeit spürte ich den Geist so nah wie sonst selten. In unserer Runde sagten mehrere andere, dass sie körperlich spürten, wie Gott selbst in genau diesem Regen über die Wunden dieser Welt trauert.
Es beeindruckt mich auch, wie Menschen an verschiedenen Orten der Welt unabhängig voneinander diesen Ruf gehört haben, Gott im Freien anzubeten. Diese Bewegung hat nicht nur einen Ursprung, sondern mehrere, genau wie die Täuferbewegung im 16. Jahrhundert. Ich bin überzeugt, dass der Heilige Geist im Spiel ist, wenn so viele verschiedene Menschen an verschiedenen Orten innerhalb von ein paar Jahren dieselbe Idee haben. Ich glaube, der Heilige Geist hat uns zueinandergeführt, damit wir in dieser Zeit des ökologischen Kollapses und der Zerstörung einen Weg zeigen, wie wir an den Orten, wo wir leben, eine neue Beziehung zur Schöpfung entwickeln können. Diese konkrete spirituelle Dimension fehlt leider allzu oft in den Bemühungen um die Bewahrung der Schöpfung.

Rianna: Gibt es noch etwas, das du uns sagen willst?
Ich habe wohl schon mehr als genug geredet! Am besten geht ihr einfach raus und probiert es aus!

Weitere Informationen auf Englisch:
https://www.wildchurchnetwork.com/
http://www.mysticchrist.co.uk/
https://watersheddiscipleship.org/

Wer Interesse hat, in seiner Gegend eine Wild-Church-Gruppe zu beginnen oder sich mit anderen auszutauschen, kann sich bei Rianna Isaak-Krauß melden: riannaisaak@gmail.com

Der Artikel erschien zuerst in DIE BRÜCKE 2/2021