Ein Bericht über den Begegnungstag in der Schweiz
Nachdem vor 500 Jahren alle „Wiedertäufer“ aus Zürich ausgewiesen, verbannt oder gar umgebracht wurden, waren nun wieder über 4.000 Täuferinnen und Täufer in Zürich. Leicht erkennbar an den grünen Buttons auf der Kleidung bevölkerten wir am Himmelfahrtstag (29. Mai 2025) die ganze Innenstadt. Und als wir abends wieder gingen, war die Altstadt von Zürich leer.
Vom 21. Januar 1525 wird von einer Taufe von Erwachsenen berichtet. Es waren radikale Schüler des Zürcher Reformators Ulrich Zwingli, die sich gegen den Stadtrat stellten, der am 18. Januar 1525 verfügte, dass alle Neugeborenen binnen 8 Tagen getauft werden mussten. Stattdessen tauften sich Konrad Grebel, Georg Blaurock, Felix Manz und all die anderen gegenseitig. Da sie bereits als Kinder getauft waren, galt dies als Wiedertaufe, worauf die Todesstrafe stand. Eine Leidensgeschichte mit Verfolgung und die gleichzeitige Verbreitung der täuferischen Ideen begannen. Heute – 500 Jahre später – gedenken wir dieser Ereignisse nicht als Jubiläum, denn wir jubeln nicht angesichts des Leidens und Todes so vieler Täuferinnen und Täufer. Jedoch erinnern wir uns an den Beginn der Täuferbewegung und damit auch der Mennoniten in der Reformationszeit und nehmen es als Ermutigung für heute.
Die Mennonitische Weltkonferenz (MWK) hat dazu zusammen mit der Konferenz der Mennoniten der Schweiz und der Reformierten Landeskirche in Stadt und Kanton Zürich eine eintägige Veranstaltung in Zürich geplant. Der Gedenktag begann um 11:00 Uhr mit verschiedenen Workshops, Chorkonzerten, Filmen und Ausstellungen. Torsten Seefeldt und ich waren von der Berliner Mennoniten-Gemeinde dabei. Wir trafen eine Menge bekannter Menschen unter anderem Mark Jantzen, den ja viele aus der Gemeinde ebenfalls gut kennen.
Das Programm drehte sich nicht nur um früher, nein, es ging vor allem auch um heute. Da setzt sich die Leidensgeschichte so vieler Menschen fort und Mennoniten nehmen sich dieses Leidens überall auf der Welt an. Auf einer Podiumsveranstaltung, die die Schweizer Journalistin und Theologin Judith Wipfler moderierte, berichteten fünf mennonitische Christen von Aktivitäten, wie sie und auch ihre Gemeinden sich zwischen kämpfende und leidende Menschengruppen stellen.
Amos Chin informierte uns über die Lage in seiner Heimat Myanmar, wo eine Militärdiktatur gegen die eigene Bevölkerung kämpft und junge Männer in den Militärdienst zwingt. Wenn diese Menschen mennonitisch werden, lehnen sie nicht nur den Militärdienst ab, was sehr gefährlich ist, sondern sie werden meist auch aus ihren buddhistischen Familien verstoßen, was für sie und die mennonitische Gemeinde eine große Herausforderung ist, da das ganze soziale Netz zusammenbricht. „Kaum jemand im Westen kennt unsere Lage“, so Chins Resümee.
Siaka Traoré ist Mediator und vermittelt in Burkina Faso und in anderen Ländern Westafrikas. Dabei geht es um Gewalttransformation, Konfliktmanagement und Korruption, die auch die Themen Kolonisation und Dekolonisation zwischen afrikanischen und westlichen Mennoniten betreffen.
Viele Menschen machen sich in Südamerika zum Teil mit ihrer ganzen Familie auf, um in die USA zu gelangen. Im Durchgangsland Mexiko stockt dieser Flüchtlingsstrom und die Heimatlosen geraten in große Gefahr, denn kriminelle Banden treiben dort Menschen- und Organhandel. Fast niemand von den Geflüchteten rechnet mit dieser Art von Bedrohung. Rebeca Gonzáles und ihr Mann versuchen zusammen mit ihrer Mennonitengemeinde, die verschwundenen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen aufzufinden. Selten gelingt die Befreiung der Verschleppten, da sie meist schon außer Landes geschafft wurden, oft bleiben lediglich Trost und Trauma Arbeit an den Hinterbliebenen.
Carolyn Yoder hat ein Buch über Traumaheilung geschrieben. Aus den Erfahrungen vieler Workshops und Begegnungen mit traumatisierten Menschen ist dieses Buch entstanden. Was machen traumatische Erfahrungen von Leid, Gewalt und Zerstörung mit Opfern und Tätern/Täterinnen? In ihrem Konzept STAR, wollen sie Menschen wieder lebens- und widerstandsfähig machen. Sie erinnert sich an einen Kollegen, der wieder zurück in den Gazastreifen ging, um dort Traumaarbeit leisten. Als sie davon berichtet, verschlägt es Carolyn Yoder die Sprache. Wir im Publikum sind betroffen. Stockend spricht sie weiter, dass sie nicht wisse, was aus ihrem Kollegen und Freund in Gaza geworden ist. Vermutlich sei er getötet worden, wie so viele andere, die der staatlichen Gewalt dort ausgesetzt sind.
Hansuli Gerber, der als junger Mann wegen Kriegsdienstverweigerung in einem Schweizer Gefängnis saß, weist uns darauf hin, dass wir Gewalt als Gewalt benennen und nicht das Wort „Konflikt“ dafür verwenden sollen. Denn Konflikte sind normal“ Es gibt kein Leben ohne Konflikte. Jedoch wollen wir als Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu, die Gewalt, die wir alle in unterschiedlicher Weise erfahren, in ihrer Härte wahrnehmen und transformieren. Indem wir sie lediglich „Konflikte“ nennen, werden sie verharmlost.
Die Berichte der fünf Mennoniten und Mennonitinnen aus unterschiedlichen Kontexten zeigten uns, wie das Zeugnis der Gewaltlosigkeit von damaligen Täuferinnen und Täufer auch heute noch gelebt werden kann. Ich bin dankbar für diese Anregungen zum Weiterdenken und -leben. Gemeinsam mit Torsten und Mark machten wir uns auf zur Mensa, packten unsere Lunchpakete aus und trafen viele Jugenddelegierte aus der ganzen mennonitischen Welt.
Die Organisation hatte einen historischen Rundgang durch die Zürcher Altstadt ausgewiesen, auf dem man in 10 Stationen wichtige Orte der Reformationsgeschichte mit Informationstafeln erlaufen konnte, So den ehemaligen Wohnort von Konrad Grebel, das Rathaus, in dem die Disputation über die Taufe stattfand, die Stelle, an der Felix Manz als erster Täufer von Reformierten ertränkt wurde und einiges mehr. Bei diesem Rundgang lernten wir nicht nur viel über die örtliche Reformationsgeschichte, sondern trafen auch ständig Bekannte aus aller Welt. Das Wetter war angenehm und der Aufenthalt an der frischen Luft tat gut.
Bereits um 16:00 Uhr machten wir uns auf zum Zwingli-Platz vor dem Grosssmünster. Etliche hatten sich bereits versammelt und warteten, dass die großen Kirchentüren aufgingen. Langsam schoben wir uns hinein und bekamen tatsächlich recht weit vorne im Seitenschiff einen Platz mit guter Sicht auf das Geschehen. Monitore machten einen Blick „um die Ecke“ möglich. Der Gottesdienst wurde in drei weitere Kirchen mit verschiedenen Übersetzungen übertragen, dennoch fanden nicht alle einen Platz und blieben zum Teil auf dem Kirchenvorplatz stehen.
Der Ablauf des Gottesdienstes spiegelte die Vielfalt der Mennonitischen Weltgemeinschaft wider: Chöre aus Afrika und den USA, Gebete aus Indonesien und Indien, eine Predigtstörung als „Anspiel“ aus Deutschland. Der Prediger kam aus Kolumbien. Auch wurde an verschiedene Versöhnungsprozesse erinnert: Kardinal Karl Koch überbrachte ein Grußwort von Papst Leo XIV. An den Versöhnungsprozess mit den Lutheranern 2010 wurde durch die ehemaligen Akteure auf beiden Seiten erinnert. Besonders eindrücklich war die Versöhnung mit der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WGRK), der durch eine Fußwaschung von Setri Nyomi, Interims-Generalsekretär WGRK und César Garcia, Generalsekretär der MWK, Ausdruck verliehen wurde. Die Begegnung nach dem eineinhalbstündigen Gottesdienst fand vor dem Grossmünster mindestens genauso lange statt. Allerdings mussten diejenigen, die als Gruppe angereist waren, die Versammlung bereits in Bussen oder im Zug verlassen. Torsten, Tim und ich fuhren erfüllt von den Begegnungen und ermutigt durch die Impulse zurück nach Deutschland. Selten hat man als Mennonit mal die Gelegenheit, in der Mehrheit zu sein.
Bernhard Thiessen
Berlin
Aus „DIE BRÜCKE 4-2025“