Eine Predigt zum Augsburger Hohen Friedensfest 2023
Wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf den Messias Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf dass, wie der Messias auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in einem neuen Leben wandeln. Denn wenn wir mit ihm zusammengewachsen sind, ihm gleich geworden in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein. Haltet euch für Menschen, die der Sünde gestorben sind und für Gott leben im Messias Jesus. (Römer 6, 3ff)
Was unterscheidet uns Mennoniten von der evangelischen oder katholischen Kirche? Viele von uns nennen auf diese Frage als erstes, dass wir keine Kinder sondern (mehr oder weniger) erwachsene Menschen taufen. Wenn das Gespräch weiter geht, heißt es oft, die Taufe sei aber „nur ein Zeichen“. Auch zum Thema Abendmahl heißt es fast unweigerlich, Brot und Wein seien „nur Zeichen“. Oft ergänzt mit der Erläuterung, wir hätten nun mal kein „sakramentales Verständnis“.
Katholische Gesprächspartner sind vielleicht verwundert, dass bei uns so selten Eucharistie gefeiert wird. Zweimal im Jahr in vielen Gemeinden. Auch dass Christus unter uns nicht leibhaftig in Brot und Wein anwesend ist, wundert sie. Es soll zwar auch Katholiken geben, denen es schwer fällt zu glauben, dass sich unter den Worten des Priesters und dem Klingeln des Messglöckchens Brot tatsächlich in den Körper Christi und Wein in sein Blut verwandeln.
Alles so nüchtern
Alles so nüchtern bei uns! So wenig Geheimnis! So wenig Ehrfurcht vor dem, was geschieht. Geschieht denn etwas? Oder geschieht NICHTS? So habe ich es auch schon von Geschwistern hörte. Es ist „nur“ ein Zeichen, mehr nicht. Nichts geschieht. Wir haben eben kein „magisches Verständnis“. Ursprünglich mag da mal eine berechtigte Kritik an einer „automatischen“ Wirkung von Taufe und Abendmahl gewesen sein. Aber ist das noch aktuell? Oder ging es schon früher übers Ziel hinaus? Wird unser „gedimmtes“ Tauf- oder Abendmahlsverständnis diesen Handlungen gerecht?
Was ist denn ein Zeichen? Was ist gar ein Sakrament? Welches Verständnis haben wir von diesen Worten? Welche theologischen Inhalte stecken dahinter? Ein Zeichen hat zwei Bestandteile.
Jedes Wort ist ja ein Zeichen. Da ist das Wort, ein akustisches Phänomen. Oder etwas Optisches, mit Stift auf Papier gezeichnet, auf einem Bildschirm zu sehen. Worte können auch mit den Bewegungen des Flaggenalphabets geschrieben werden. Die Abfolge der Laute, Buchstaben, Flaggensignale formen das Wort. Das ist das Bezeichnende. Es steht für etwas anderes, nämlich das Bezeichnete; das was wir mit diesem Wort so benennen. Etwas zum Anfassen zum Beispiel: Brot. Wenn ich Brot sage oder schreibe, ist das gesprochene Wort „Brot“ das Bezeichnende, es steht für ein Stück Materie, das ich in der Hand halten kann. Das Bezeichnende, oder sagen wir einfach das Zeichen, ein Wort für eine bestimmte Sache kann recht verschieden sein. Brot, heißt auf englisch recht ähnlich bread. Ganz anders klingt das französische pain. Oder kroatisch: kruh. Ganz anders in der eng verwandten serbischen Sprache: hleb. Deutlich wird es auch am Verkehrszeichen. Dessen Bedeutung, wie auch die eines Wortes, müssen wir lernen. Bei manchen Verkehrszeichen liegt sie nahe, etwa wenn das Zeichen das Bezeichnete grafisch veranschaulicht. Wie beim Abbiegepfeil.
Warum werden die Leute nass gemacht?
Zwischen Zeichen und Bezeichnetem besteht eine Beziehung. Zeichen können auch für Abstrakta stehen. So stehen Verlobungs- oder Eheringe für die Liebe zwischen zwei Menschen, für ihre Beziehung, für ein Treueversprechen. Das Kreuz – ein grausames Werkzeug zur Hinrichtung von Menschen wird umgedeutet in ein Zeichen der Befreiung von Schuld und Sünde. Vom Werkzeug der Todesstrafe zu einem Zeichen des Lebens und der Liebe.
Die Sache mit den Zeichen ist noch komplexer, zumindest haben Philosophe, Sprach- und Kommunikationswissenschaft eine ausgebaute Semiotik (Zeichenwissenschaft) entwickelt. Den meisten Menschen bleiben die wissenschaftlichen Kategorien verschlossen. Das schadet jedoch nicht, weil wir alle im Alltag gewohnt sind, mit Zeichen umzugehen. Sie gehören zu unserer kulturellen Grundausrüstung. Schon Kleinkinder, können aus dem Bild einer Eiswaffel ihre Schlüsse ziehen.
Was ist nun in der Taufe das Bezeichnende, das Zeichen und für welchen Inhalt steht es? Was soll damit ausgedrückt werden. In einem Gespräch sagte eine junge Frau, sie wisse nichts über den Glauben, aber sie wolle informiert werden. Als ich anfing, mit ihr über Taufe zu sprechen, unterbrach sie mich: Taufe? Was ist das? Sie kannte die Zeichenhandlung nicht, nicht mal das Wort. Hätte sie eine Taufe miterlebt, hätte sie verwundert gefragt: Was soll das? Warum werden die Leute hier nass gemacht? Warum schüttet man ihnen Wasser über den Kopf? Warum werden sie ins Wasser getaucht? Sollen sie denn ertrinken?
Das ist also das Zeichen. Jemand wird nass gemacht. Mindestens ein wenig oder ganz und gar, sogar untergetaucht. Aber was hat das zu bedeuten? Etwas zur Wortherkunft: „Zeichen kommt aus indogermanisch dei für ‚hell glänzen‘, ‚schimmern‘, ‚scheinen‘, und wird im Althochdeutsch zu zeihhan ‚Wunder‘‘ ‚Wunderzeichen‘. Dem deutschen Wort liegt ursprünglich die irdische Erscheinung einer höheren Macht zugrunde.“ Wikipedia 6.8.23, 7:45.
Aha! In einem Verkehrszeichen allerdings scheint mir diese ursprüngliche Bedeutung sehr fern. Wenn wir über Taufe und Abendmahl nachdenken jedoch ganz nah. Brot und Wein teilen, das tun wir zum Gedächtnis und hzur Erneuerung des Bundes, den Gott mit uns in Christus geschlossen hat. Und nach seiner Verheißung ist er mitten unter uns, auf welche Weise auch immer. Und der Akt der Taufe verdeutlicht diesen Bund. Gott lädt uns ein. In der Taufe sagen wir Ja. Das Zeichen der Taufe führt uns in die Identifikation Jesus und seinem Weg. Wir sagen Ja zu seiner Nachfolge. Wir werden hineingenommen in seinen Tod am Kreuz. Wir werden auferweckt von den Toten zu einem neuen Leben. Wir wachsen mit ihm zusammen zu einem Leib. Wir sterben der Sünde und leben für Gott im Leib des Messias. Das kann handgreiflich und sinnlich erlebt werden im Taufakt. So kann es zu einer Erfahrung werden. Zur Veranschaulichung, zum Bild einer Erfahrung.
Das deutlichste Zeichen sehe ich im Untertauchen. Am allerdeutlichsten, wenn die Taufe im Freien, im See oder Fluss geschieht. Inmitten der Schöpfung. Die Taufe macht etwas, es geschieht etwas, das Zeichen nimmt mich körperlich hinein in die geistliche Wirklichkeit und trägt damit zu meiner Verwandlung bei. „Ist jemand in Christus, so ist eine neue Schöpfung!“ 2 Kor 5,17.
Geheimnis des Glaubens
Ja! Es geschieht eine Verwandlung, damit haben die Katholiken recht. Die Verwandlung reicht jedoch tiefer, als dass nur Brot und Wein sich wandeln in Leib und Blut Christi. Das scheint mir eher Nebensache. Nicht entscheidend.
Greift unser nüchternes reformiert täuferisches Verständnis nicht zu kurz? Bleiben wir stehen bei den polemischen Frontstellungen des 16. Jahrhunderts? Ist die Realpräsenz am Ende gar nicht so materiell gemeint? „Geheimnis des Glaubens“ heißt es gleich nach dem Klingeln in der katholischen Liturgie. Heute betont jede ordentliche katholische Theologie, dass sich weit mehr verwandelt als nur ein bisschen Materie.
Im Gespräch der Konfessionen erleben wir heute, wie ökumenische Gemeinschaft wächst, früheres Gegeneinander sich wandelt zum Miteinander. Irgendwann werden wir miteinander essen und trinken am Tisch des Herrn trotz fortbestehender unterschiedlicher Verständnisse!?
Die Verwandlung betrifft zum einen den einzelnen Menschen, der sich taufen lässt. Dessen Verwandlung hat ja vorher begonnen und geht nach der Taufe weiter. Zum anderen geht sie über den einzelnen hinaus in Richtung Gemeinschaft. Einzelne wachsen zusammen mit Jesus. Das mag bei manchen starke Gefühle auslösen oder zur mystischen Erfahrung werden. Konkret wird es darin, dass aus dem Singular ein Plural wird, der nun wirklich mehr ist als die Summe seiner Teile, weil Christus zum Haupt der nun in den Leib Christi eingepflanzten Glieder geworden ist. Die Taufe macht aus vereinzelten, voneinander getrennten Menschen Teile desselben Leibes. Es ist der Leib des Christus, des Messias. Oder in einem anderen neutestamentlichen Bild oder Zeichen gesprochen: Sie werden Teil der Familie Gottes, Brüder und Schwestern Jesu.
Umkehr und Zeitenwende
Und so werden wir zum Teil der Zeitenwende, die mit dem Erscheinen Jesu beginnt. Sie setzt sich fort mit jedem Mann und jeder Frau, die sich auf seinen Weg macht. Es geht um die Umkehr aus den verderbenbringenden Strukuren von Sünde, Gewalt, Herrschaft, Profitstreben, unendlichem „Wachstum“ des Betriebsystems dieser Welt in das messianische Reich des Friedens, der Gerechtigkeit, der Gemeinschaft mit Gott und seiner Schöpfung.
Jesus ist der Heiland, er macht uns heil, lädt uns ein auf den Weg der Heilung. Gegen den Satz des Philosophen Adorno „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen!“ sagen wir „Es gibt ein richtiges Leben im Falschen.“ Wir leben es als Gemeinde mitten im „Falschen“. So fordern wir das Falsche heraus. Auferweckt leben, mit ihm und miteinander zusammenwachsen. Miteinander seinen Weg gehen. Auf diesem Weg uns weiter verwandeln lassen. Da geschieht etwas! Wir werden zu Kindern Gottes. Zu Brüdern und Schwestern Jesu. Die ganze Schöpfung wartet darauf. Röm 8, 19. Was kann mehr geschehen?
Sichtbar werden
n jeder Taufe, ob öffentlich an einem Fluß, an einem See oder in einem Gemeinderaum, jede Taufe ist ein Zeugnis, dass ein Menschenleben verwandelt ist, verwandelt in ein neues Leben. Jede Taufe eine neue Geburt, ein weiteres Glied am wachsenden Leib Christi.
Wo Menschen getauft werden, die schon lange Christen und Christinnen sind, wird das aktualisiert. Die Taufe ein Zeichen und damit eine Kommunikation: Du verwandelst dich, signalisiert es dem Menschen, der getauft wird. Erinnert euch an eure Taufe, auch ihr seid verwandelte Menschen, sagt es denen, die es miterleben. Auch du bist eingeladen, sagt es denen, die noch nicht getauft sind. Jeder kann sich verwandeln lassen. Jede hat eine neue Chance. Keiner ist abgeschrieben. Ein Zeichen nicht nur an die anwesende Gemeinde oder Passanten. Ein Zeichen auch an die sichtbare und unsichtbare Welt, an die Mächte und Gewalten, dass sie schon überwunden sind, dass das noch mehr sichtbar werden wird. Ein Siegeszeichen.
Kommunikation
Und wenn es schon lange keine Taufe mehr gab in einer Gemeinde? Schon lange nicht mehr dieses Freudenfest gefeiert werden konnte? Wenn keine nachwachsende Generation da ist? Wenn sie gar „hinausgetauft“ wurde? Wenn keine Menschen von außen zur Gemeinde finden?
Dann sollten wir an dieser Kommunikationstörung arbeiten. Wie sieht die Kommunikation der Gemeinde aus? Mit ihren Kindern und Jugendlichen? In ihrer Stadt und Region? Bleibt die Gemeinde in ihren Mauern oder ist sie in Kontakt mit Menschen „draußen“? Wie wird mit dem eigenen Nachwuchs kommuniziert? Wie werden die Kinder und Jugendlichen integriert und zur Entscheidung ermutigt?
Wie kann die Gemeinde sich öffnen für Verwandlung? Was muss womöglich sterben? Was muss begraben werden in den Tod Christi, damit Auferweckung geschehen kann?
Dazu brauchen wir die anschaulich vollzogenen Zeichen. Immer wieder. Wie wärs öfter Brot und Wein zu teilen? Das lässt sich leicht machen. Die Zeichen von Brot und Wein auf uns und in uns wirken lassen. Uns erinnern an das Leben Jesu, seinen Tod am Kreuz, seine Auferweckung. Uns ausrichten auf seine Gegenwart hier und heute. Sein Kommen in diese Zeit zu uns erwarten.
Wie können wir wieder Taufen erleben? Beginnen wir damit, Menschen einzuladen. Lassen wir selbst uns ein auf die verwandelnde Kraft Gottes und das verwandelte Leben mit ihm. Wenn wir damit beginnen (oder weitermachen) werden wir uns verwandeln.
Die Gemeinde selbst ist ein Zeichen. Ein Zeichen für die Gegenwart Gottes. Schon jetzt! Hier und heute! Einladung in das kommende Reich Gottes, schon angebrochen mitten unter uns.
Heißt es nicht von Jesus, er habe ZEICHEN und Wunder getan? Amen
PS: Gerade schreibe ich „Amen“, da schlagen Regentropfen ans Fenster. Ich sehe raus. Die Sonne scheint. Ein Regenbogen spannt sich über die Wertach herüber zu mir. Gottes ZEICHEN für sein Versprechen nach der großen Flut. Die Schöpfung ist gerettet! Durch das Wasser hindurch! Taufe! Da geschieht etwas!
Wolfgang Krauß
Mitarbeiter der Gemeinde Augsburg
Aus: DIE BRÜCKE 5/2023
Foto von Yoann Boyer auf Unsplash