Ein hoffnungsvoller Theologe

Zum Tod von Jürgen Moltmann, 8.4.1926 – 3.6.2024

Am 3. Juni 2024 verstarb Jürgen Moltmann, ein herausragender evangelisch-reformierter Theologe, im Alter von 98 Jahren in Tübingen. Geboren am 8. April 1926 in Hamburg, führte Moltmanns Lebensweg ihn durch die Wirren des Zweiten Weltkriegs und Kriegsgefangenschaft in England zu einem tiefen christlichen Glauben und einer bedeutenden akademischen Karriere. Seine theologische Reise begann er im Kriegsgefangenenlager und setzte sie an der Universität Göttingen fort, beeinflusst von renommierten Theologen wie Hans Joachim Iwand und Otto Weber.

Ab 1952 diente Moltmann als Pastor in Bremen-Wasserhorst und wechselte später in die akademische Welt. Seine Professuren an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, der Universität Bonn und schließlich an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen prägten Generationen von Theologen. Moltmanns Hauptwerke, darunter die „Theologie der Hoffnung“ (1964) und „Der gekreuzigte Gott“ (1972), brachten ihm internationale Anerkennung und beeinflussten die Theologie nachhaltig.
Moltmann war bekannt für seine linksprogressive Haltung und sein Engagement für Frieden und Gerechtigkeit. Er war Mitglied der Christlichen Friedenskonferenz und setzte sich zeitlebens für eine politische Theologie ein, die Hoffnung als aktive Kraft verstand.

Erinnerungen an Jürgen Moltmann

Rainer Burkart, Pastor in Enkenbach, erinnert sich lebhaft an seine Begegnungen mit Moltmann während seines Studienjahres am mennonitischen Seminar in Elkhart, USA 1982/1983:

„Während meines Studienjahres am mennonitischen Seminar in Elkhart habe ich Jürgen Moltmann erleben können. Er verbrachte mehrere Tage dort zu Gastvorlesungen in Blockform und zu theologischen Gesprächen. Mit mehreren mennonitischen Professoren pflegte er Kontakte, vor allem mit John Howard Yoder und Marlin Miller, aber auch Willard Swartley und Cornelius Dyck kannte er von ihren Sabbatsemestern in Tübingen.

Ich fand es irgendwie lustig, von meinen deutschen Studienfreunden zu hören, dass sie in Tübingen Moltmann gehört hatten – in riesigen Hörsälen zusammen mit unzähligen anderen Studierenden (das war ja der große Theologiestudentenboom), während ich die Gelegenheit hatte, ihm im kleinen Kreis mehrere Tage lang intensiv zu begegnen und mit ihm zu frühstücken.

Seine Berührungspunkte mit täuferisch-mennonitischer Theologie lagen zum einen im Bereich der Friedens-ethik, zum anderen im Bereich der Ekklesiologie (Lehre von der Kirche). Neben seinen bekannten Büchern hatte ich auch „Die Kirche in der Kraft des Geistes“ 1975 und „Neuer Lebensstil – Schritte zur Gemeinde“ 1977, gelesen, wo er sich für einen Weg weg von der volkskirchlichen Betreuungskirche, zu einer freiwilligen Gemeindekirche ausspricht, seine eigene Kirche als zu klerikal beschreibt und sich zudem deutlich gegen die Praxis der Kindertaufe stellt. Er spricht dann allerdings nicht von Glaubenstaufe oder Erwachsenentaufe, sondern eher von Bekenntnistaufe bzw. Berufungstaufe. Den Begriff Bekenntnistaufe habe ich, davon angeregt, mir zu Eigen gemacht. Wir taufen ja „auf das Bekenntnis des Glaubens hin“.
Er verstand sich inmitten der vom Luthertum dominierten deutschen protestantischen Landschaft klar als Reformierter. Das machte er auch bei seinen Vorträgen und Gesprächen in Elkhart immer wieder deutlich. Für mich war das ein Hinweis, mich stärker mit der reformierten Theologie zu befassen und später nach Erlangen zu gehen, wo es damals noch einen Lehrstuhl für reformierte Theologie gab, die ich uns Täufern immer als näher empfand als das Luthertum.

Ich vergesse auch nicht seinen kleinen Seitenhieb gegen eine bestimmte Strömung unter den Mennoniten, die damals großen Wert auf die Beschreibung des geistlichen Weges legte. Dazu hatte man auch ihn aufgefordert und er antwortete, er sei das als reformierter Theologe nicht gewohnt, sondern wolle eher von der Größe Gottes reden, als von den geistlichen Wegen der Menschen. Er sagte das und erzählte gleichzeitig in der ihm eigenen großen Bescheidenheit doch von seinem ganz persönlichen Lebensweg, der ihn, der aus einer unkirchlichen protestantischen Hamburger Familie kam, in der Kriegsgefangenschaft im englischen Sherwood Forest nicht zuletzt durch das Lesen der Bibel zu einem bewussten Glauben und zum Studium der Theologie (noch im Gefangenenlager) führte. Seine Familie, von Glaube und Kirche weitgehend entfremdet, missverstand seine Briefe und „befürchtete“, er sei zum Katholizismus konvertiert.“

Tätern Chance zur Umkehr geben

Auch Benjamin Isaak-Krauß von der Mennonitengemeinde Frankfurt teilt eine Erinnerung: „Meine einzige Begegnung mit Jürgen Moltmann war vor acht Jahren bei der Preisverleihung des Michael-Sattler-Friedenspreises an die Kirche der Geschwister in Nigeria für ihre christlich-muslimische Friedensarbeit im Kontext des Terrors der Boko Haram. Er fand damals als sichtbar alter Mann Worte, die auch heute zu denken geben:

„’Terrorismus entsteht in den Herzen und Köpfen von Menschen und muss darum in den Herzen und Köpfen der Menschen überwunden werden. Das ist die Sprache des Friedens, die Leben schafft, nicht der Gewalt. „Terroristen verstehen nur die Sprache der Gewalt“, wird uns von allen Seiten gesagt. Aber die „Sprache der Gewalt“ hat die Zahl von einigen hundert Terroristen zu Bin Ladens Zeiten zu zehntausenden in ISIS-Boko-Haram heute emporschnellen lassen.

Den Menschen von Boko Haram zu vergeben, was sie anrichten, heißt, ihnen den Weg zum Leben zeigen, und das Böse, das sie in ihren Opfern an Hass und Vergeltungssucht erwecken, zu überwinden. Insofern öffnet die Vergebung den Tätern die Chance zur Umkehr und macht die Opfer frei von der Fixierung auf die Täter. Wir wünschen nicht, dass die Menschen von Boko Haram vernichtet werden, sondern dass sie zu einem Leben in Frieden bekehrt werden. Wir lassen uns durch die Feindschaft nicht zu Feinden unserer Feinde machen, sondern sehen auf den Willen unseres Vaters im Himmel, dessen Kinder wir sind und bleiben wollen.“ (Zitat aus der Laudatio)

Das Lesen der Bibel empfohlen

Rainer Burkart ergänzt noch eine weitere Anekdote: „Einmal erzählte Moltmann von seiner Kriegsgefangenschaft in England, dass er dort ein Neues Tesament geschenkt bekam. Darin stand vorne ein Stempel etwa folgenden Inhalts: „….recommended to read for all in the Armed Forces”. Er entschied sich dann, die Worte „in the Armed Forces“ durchzustreichen. Das Lesen der Bibel, fand er, war allen zu empfehlen!

Jürgen Moltmanns Wirken, seine Theologie der Hoffnung und sein Engagement für eine friedlichere Welt hinterlassen ein bleibendes Erbe. Sein Leben und Werk bleiben eine Inspiration für alle, die sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen.


aus: DIE BRÜCKE 4/2024