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Mennoniten in Norddeutschland seit 1945

Das Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 bedeutete für das Mennonitentum in Ost- und Norddeutschland ein

Hamburger Mennonitenkirche im Trümmerfeld

en tiefen Einschnitt. Alle Gemeinden im ehemaligen Ost- und Westpreußen einschließlich Danzig und in Polen hörten 1945 durch die Flucht der Deutschen aus diesen Gebieten oder die spätere Ausweisung in den Jahren 1945 bis 1948 auf zu existieren. Das betraf den zahlenmäßig größten Teil des Mennonitentums im damaligen Deutschen Reich, etwa 8.500 von rund 14.000 Mennoniten ohne ungetaufte Kinder (Zahlenangaben nach dem letzten vor Kriegsende erschienenen „Christlichen Gemeindekalender“ von 1941). Alle diese Mennoniten flohen auf dem Land- oder Seeweg nach Norddeutschland, ein Teil war bis 1948 in Lagern in Dänemark interniert.

Vor 1945 gab es nördlich der Mainlinie Mennonitengemeinden nur in einigen größeren Städten wie Hamburg und Krefeld sowie in Ostfriesland (Emden, Leer, Norden) und im schleswig-holsteinischen Friedrichstadt. Seit 1887 gab es eine Berliner Mennonitengemeinde durch den Zuzugs vieler Mennoniten im Gefolge der Reichsgründung 1871, und

Menn. Siedlungshäuser in Wedel

eine kleine, damals fast ausgestorbene Gemeinde in Neuwied. Durch den Zustrom der überall verstreut und meist in ländlichen Gebieten lebenden Flüchtlings-Mennoniten wurde nach der unmittelbaren Versorgung mit Nahrung, Kleidung und Wohnung, die sowohl von behördlichen Stellen wie von mennonitischen Hilfsorganisationen amerikanischer Herkunft geleistet wurde, eine Neuordnung des mennonitischen gemeindlichen Lebens notwendig. Es bildeten sich neue Gemeinden an Orten mit vielen dorthin verschlagenen Mennoniten, so in Kiel, Lübeck, Bremen, Oldenburg in Oldenburg, Hannover, Göttingen und im Bergischen Land, die je nach Wohnlage in den 1950er und 1960er Jahren und teilweise bis heute viele „Außenstellen“ hatten.

Mitte der 1950er Jahre entstanden des weiteren mit amerikanischer Hilfe und Regierungskrediten mennonitische Siedlungen und Gemeinden, so in Espelkamp südlich von Bremen, in Bechterdissen bei Bielefeld und in Neuwied, wo die alte Gemeinde dadurch „wiederbelebt“ wurde. Eine weitere Siedlung in Wedel bei Hamburg schloss sich der Gemeinde Hamburg an, ein Siedlungsversuch in Lübeck-Dornbreite blieb auf Ansätze beschränkt. Viele der aus dem Osten geflohenen Mennoniten gingen durch Auswanderung oder durch Übertritt zur evangelischen Landeskirche, meist durch Heirat, für das Mennonitentum ganz verloren. Einige der nach 1945 neu entstandenen Mennonitengemeinden wurden mit der Zeit sehr klein, und viele der genannten Außenstellen mussten geschlossen werden. Einige Gemeinden schlossen sich mit anderen zusammen, so Oldenburg mit Leer und die Gruppe im Bergischen Land mit der Gemeinde Krefeld. In den frühen 1950er Jahren fand darüber hinaus zum Ausgleich von Bevölkerungsballungen eine Deutschland-interne Umsiedlung von Flüchtlingen aus Norddeutschland in Bundesländer im Westen und Südwesten Deutschlands statt (Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg). Dadurch kamen Flüchtlingsmennoniten auch die Mennonitengemeinden dieser Gebiete, die vom Krieg in ihrer Existenz nicht bedroht worden waren, und es entstanden Siedlungen in Backnang bei Stuttgart und in Enkenbach bei Kaiserslautern.

Die meisten der heute bestehenden Mennonitengemeinden in Nord- und Westdeutschland (jedoch nicht die Aussiedler-Gemeinden, s.u.) gehören zur 1886 gegründeten „Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden“, die heute einen Regionalbereich der deutschlandweit tätigen „Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland“ (AMG) bildet. Die Gemeinden haben eine sehr unterschiedliche Größe (Krefeld ca. 900 Glieder, Friedrichstadt ca. 30 Glieder), und nicht alle haben ein eigenes Kirchengebäude oder Gemeindezentrum; viele sind in evangelischen oder anderen freikirchlichen Gemeinderäumen zu Gast. In der Regel empfindet man in den nord- und westdeutschen Mennoniten eine große theologische und gesellschaftliche Nähe zur evangelischen Landeskirche und eine ökumenische Offenheit. Die theologische Ausrichtung, so weit man solche pauschalen Aussagen überhaupt treffen darf, ist meist weltoffen-liberal. Die Zusammenarbeit der Gemeinden wird durch die weiten Entfernungen zwischen den Gemeinden oft behindert, und die Zukunft einiger kleinerer Gemeinden erscheint heute ungewiss.

Seit 1970 kamen russlanddeutsche Aussiedler in die Bundesrepublik, unter ihnen viele ehemalige Russland-Mennoniten. Sie bildeten, soweit sie kirchlich orientiert waren, neue Mennonitengemeinden (und Mennoniten-Brüdergemeinden, eine in Russland 1860 entstandene Form des Mennonitentums) mit eigenem Gepräge und organisierten sich teilweise in gemeindlichen Zusammenschlüssen, teilweise existieren sie auch bis heute als isolierte Einzelgemeinden. Diese Aussiedler-Gemeinden gehören nicht zur AMG. Die Aussiedler-Mennoniten überflügeln heute die „traditionellen“ Mennoniten in Deutschland bei weitem (etwa 25.000 zu 6.000), und sie werden in der Öffentlichkeit infolge ihres meist sehr konservativen Auftretens und ihrer Ablehnung vieler heute üblicher Lebensformen besonders wahrgenommen; sie prägen häufig das Bild „der Mennoniten“ in der Öffentlichkeit. Aussiedler-Mennoniten finden sich in größerer Zahl nur in wenigen Gemeinden der „Vereinigung“ bzw. der AMG, so in Neuwied und in Berlin. Außerdem hat sich, gefördert durch die „Vereinigung“ und andere Aussiedlergemeinden, eine Gemeinde ausschließlich aus Aussiedlern in Niedergörsdorf bei Jüterbog in Brandenburg gebildet.

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